Der Mixed Media Künstler Michael McWilliams-Foldenauer legt es nicht darauf an, aus der Masse herauszustechen: Künstlerisch tätig zu sein ist für ihn vielmehr ein innerer Drang oder gar eine Sucht. Im Interview erklärte er uns, wie seine Collagen mit den menschlichen Sehgewohnheiten spielen und warum seine Werke Geschichten erzählen, die zwischen Phantasie und Realität oszillieren. Neben der Bildenden Kunst ist McWilliams-Foldenauer gleichzeitig Dichter. Mit „sentio, ergo sum!“ liefert er am Ende des Interviews einen Einblick in seine lyrischen Ergüsse. Außerdem demonstriert McWilliams-Foldenauer, wie Standorte die künstlerische Freiheit bereichern oder einschränken können und warum für ihn persönlich Berlin besser als München ist.

Eigentlich kommst Du aus München, wohnst aber jetzt in Berlin. Gibt es für Dich als Künstler Vorteile in Berlin, die Du in München nicht findest?

Der Hauptunterschied besteht wohl in den Möglichkeiten der relativ uneingeschränkten Selbstverwirklichung. München denkt leider viel zu viel über organisierte und institutionalisierte Kultur nach. Also wird immer nach Standorten gesucht, die als Prestigeobjekte für Künstler aufgebaut werden können, anstatt die Impulse der vielen verschiedenen Künstler selbst anzunehmen und kleine Strukturen zu fördern oder diese einfach frei, unverkrampft und selbstorganisiert zuzulassen. Es fehlt an echten Freiräumen.

Kultur, die bewegt, kann primär nur von unten und frei von städtischer Vereinnahmung entstehen.

Vieles ist einfach zu beliebig und angepasst. München hat viel Potential, ist aber leider vor mehreren Jahren auf einen unguten Weg abgebogen, der in bestimmten Bereichen wohl kaum noch rückgängig zu machen ist. Kreativen und sozial engagierten Menschen wird immer weniger die Grundvoraussetzung für ein freies, kritisches und ungezwungenes Arbeiten und Sich-Entfalten geboten. Bezahlbare Wohn- und Arbeitsräume gibt es kaum noch. Dieser Umstand wird letztendlich dem kreativen Potential Münchens nicht gerecht. Wenn die Stadt also Einfluss nehmen will, dann sollte sie die gesamte Wohnraum- und Gewerbepolitik überdenken, da es kaum mehr möglich ist in München noch selber etwas auf die Beine zu stellen und Fuß zu fassen, wenn man nicht schon seit Jahren im Kulturbereich verankert und etabliert ist oder das nötige Geld mitbringt. Auch die wenigen noch bestehenden Originale der Kulturszene werden vor Spekulation nicht genug geschützt. So kann und wird unabhängige und freie Kultur nicht wachsen können, sondern immer zum angepassten städtischen Mainstream. Das ist wohl der Hauptunterschied zwischen Berlin und München, wobei auch Berlin sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Vielleicht ist das einfach der Zeitgeist, und man müsste diesen generell überdenken. Mein Empfinden, hier in Berlin freier in meiner Arbeits- und Wohnsituation zu sein, ist möglicherweise sehr subjektiv, lässt mich aber dennoch entspannter und produktiver arbeiten.

Haben sich Deine Arbeiten durch den Standortwechsel verändert?

Nicht wirklich. Klar nimmt man immer ein frisches Gefühl von einem neuen Ort, dessen Seele und den Menschen, die diesen prägen in sich auf und wächst somit als Mensch und Künstler. Berlin hat eine Menge neuer und anderer Eindrücke zu bieten. Aber ich denke, wenn ich Kunst mache, kommt das immer eher aus meiner persönlichen Innenwelt als aus der mich momentan umgebenden Außenwelt. Sie ist deshalb nicht allzu stark von einem Standortwechsel beeinflusst. Was aber sicherlich auch damit zu tun hat, dass ich nicht in ein anderes Land, mit anderer Sprache und Kultur gezogen bin. Das hätte dann sicherlich doch einen bemerkbareren Einfluss auf meine Kunst.

In München gibt es zahlreiche vielversprechende Künstler, in Berlin wahrscheinlich noch mehr. Muss man dort als Künstler umso mehr herausstechen um nicht in der Menge unterzugehen?

Wenn du dich auf das Spiel des Kunstbetriebs einlässt, mag Berlin mit seiner Masse an kreativen Geistern ein ziemlich aufreibendes Pflaster sein. Und wenn das Herausstechen aus der Masse das Ziel ist, das du verfolgst, ist Berlin sicherlich auch schwieriger als München. Für mich ist das alles aber eher nebensächlich, da ich mich noch nie an diesem, mancherorts vorherrschenden, Konkurrenzkampf beteiligt habe und auch in Zukunft nicht beteiligen will.

Ich mache Kunst, weil es ein stetiger innerer Drang ist, wenn nicht sogar eine Sucht; wahrscheinlich die einzige mit einem positiven und nachhaltigen Ausgang.

Aus diesem Grund werde ich damit auch weiter machen, wenn ich damit keinen Erfolg habe. Und trotzdem werde ich damit glücklich sein, auch ohne aus der Masse herauszustechen. Es spielt also für mich nicht wirklich eine Rolle, ob Berlin das härtere Kunstpflaster ist.

 

Deine Werke sind eine Mischung aus fotografischen und malerischen Elementen. Wie kam es dazu, dass Du begonnen hast mit Collagen zu arbeiten?

Ich habe zwar schon vor Jahren mit mixed-media-Zeichnungen und cut-outs gearbeitet, aber mit meinen surrealistischen Collagen habe ich vor circa zwei Jahren angefangen. Und zwar zunächst aus rein wohnlichen Gründen. Ich musste aus Platzmangel anfangen, mich von einigen meiner Bücher und Zeitschriften zu trennen, wollte sie allerdings nicht einfach ungenutzt entsorgen und habe mich darangemacht, die interessantesten Darstellungen ’rauszuschneiden. Während dieser Zeit habe ich mich auch vermehrt mit Künstlern wie Max Ernst, Kurt Schwitters und Wangechi Mutu auseinandergesetzt sowie der Anwendung der Collage als Ausdrucksmittel in der Punkbewegung der 80er Jahre.

Mit den ersten rausgelösten Darstellungen experimentierend, habe ich mich meinem Spieltrieb hingegeben und begonnen zu „puzzeln“.

Ich habe damals zwar nicht meine allerersten, aber doch die ersten reiferen und vielversprechenderen Schritte in der Collagetechnik gemacht. Sofort war ich wieder von den spielerischen und unbegrenzten Möglichkeiten der Collage gefesselt und so sind eine ganze Reihe surrealistischer Bilder entstanden, die es auch auf Anhieb in eine Gruppenausstellung in München und zu zwei Kunstpreisen schafften. Seitdem bin ich der Collage als Mittel, meine eigenen surrealistischen Bildwelten zu schaffen, verfallen. Im Laufe der Zeit habe ich auch angefangen, das Ganze noch um eine weitere Ebene auszubauen und begonnen, in die Collagen hineinzuzeichnen oder Köpfe durch von mir gezeichnete „Masken“ zu ersetzen, was so ein wenig mein persönlicher Weg ist, den Kreis zwischen meiner künstlerischen Vergangenheit und dem neuen, mir so lieben, Spielfeld der Collage, wieder zu schließen.

Wie entstehen Deine Collagen? Hast Du eine Sammlung von ‚Schnipseln’, die Du zusammensetzt oder hast Du bereits eine Idee im Kopf und sammelst Dir dann gezielt die benötigten Elemente zusammen?

Die Vorgehensweise variiert von mal zu mal. Manchmal sehe ich etwas in einem Buch oder einem Magazin, das ich als Ausgangspunkt nehme, und habe dann schon eine vage Vorstellung, nach was ich suchen muss, um die Collage zu vervollständigen. Dann durchforste ich entweder meine „Schnipsel-Sammlung“, die ich in den letzten zwei Jahren zusammengetragen habe, oder mach’ mich auf die Suche nach den fehlenden Teilen in Büchern oder Magazinen. Andererseits gibt es dann aber auch die Momente, in denen im scheinbaren Chaos einige Teile so beieinander liegen, dass der Zufall sie in meinem Blickfeld zusammenfügt und sie sich wie von selbst zu einer stimmigen Collage mit Geschichte verbinden. Dann muss ich es nur noch schaffen, diese Konstellationen auf dem Papier zusammenzubringen.

Manchmal ist letztendlich auch in der Kunst der Zufall der beste Ideengeber.

Oft ersetzt Du z.B. Köpfe von Menschen und fügst ein völlig unerwartetes Element an diese Stelle. Worum geht es Dir dabei?

Ich spiele gerne mit meinen eigenen Sehgewohnheiten und denen anderer Menschen. So entdecke ich Gesichter und menschliche oder animalische Formen fast überall im alltäglichen Leben und denke mir Geschichten dazu aus. Sei es ein Abdruck auf einem Stoffsitz in der S-Bahn, der einer menschlichen Silhouette ähnelt und auf Reisen ist, der Gullideckel, der wie ein Gesicht aussieht und einem einen schönen Tag wünscht oder ein Baum, der sich wie eine Giraffe in den Himmel schraubt und von den Wolken kostet. Überall sieht sich der Mensch selber oder andere Lebewesen in den von Menschenhand erschaffenen Dingen und in der ihn umgebenden Natur. Diese Sehweise lässt den Betrachter auch bei einem durch ein anderes Element ersetzten Kopf von dem Normalzustand ausgehen. Kopf ist Kopf. Erst bei der genaueren Betrachtung fängt er an, in eine andere Bildsprache einzutauchen und die Dinge anders zu benennen und zu hinterfragen. Ein Mensch mit einer Tür als Kopf kann kein natürlicher Mensch mehr sein. Er wird womöglich zum Ungeheuer, Traumwesen, Roboter oder zum symbolhaften Torwächter zu einer anderen Welt. Er ist surreal, ein Wesen aus einer anderen Welt oder Sphäre, womöglich einer Traumwelt. Oder er trägt eine Maske. Aber warum? Und schon läuft das Kopfkino.

Ich versuche also, mit dem Bild und dessen Titel eine Art Einleitung zu schaffen, ähnlich einem Klappentext im Buch und überlasse es dem Betrachter einzutauchen und seine eigene Geschichte zu spinnen.

Das Schöne an der Collage ist ja auch, dass ich gerade in der Kombination mit der Fotografie ein Mittel zur Hand habe, mit dem ich den Betrachter auf eine ganz andere Weise auf die Reise schicken kann. Da er, wenn er ein Foto sieht, in der Regel auch von etwas Realem ausgeht und meint es zu verstehen oder zumindest verstehen zu müssen. Auf diesem Weg schafft er sich seine eigene, dem Kopf entsprungene Realität und es entsteht eine neue Narrative. Eine Realität der Phantasie.

Neben Deinen Collagen schreibst Du auch Gedichte. Diese sind oft sozialkritisch. Gibt es bei Dir einen Zusammenhang zwischen der bildenden Kunst und Literatur?

Ich empfinde alle Formen der Kunst als gleichwertige Bereiche, die sich oft gegenseitig bedingen. Sei es die bildende Kunst, die Literatur oder auch die Musik. In allen fühle ich mich geborgen und aufgehoben. Sie sind sich auch alle in ihrer Bauart recht ähnlich. Ob mit Farben, Worten oder Tönen, man konstruiert sich eine Ideenwelt, die der eigenen Phantasie entsprungen ist. Allen Dreien ist auch gemeinsam, dass sie die Menschen in einem ihnen nicht greifbaren und tief im Inneren verankerten Punkt treffen und ihre Spuren in Form von Emotionen, Gefühlen und Gedanken hinterlassen. Sie liefern Antworten auf offene Fragen und eröffnen neue.

Im besten Fall fördern sie in jedem Menschen ein Urgefühl der Harmonie und Geborgenheit oder treiben ihn an, Dinge zu verändern.

So können sie auch, mit all ihrer Kraft, als eine Art Spiegel oder Werkzeug dienen, um Menschen die dunklen Seiten unserer Welt aufzuzeigen und sie wachzurütteln. Und sie letztendlich auch dazu zu bringen, diese aktiv anzugehen. Deshalb schreibe ich in meinen Gedichten oft über Themen, die mir persönlich, politisch und menschlich wichtig sind und mir so auf der Seele brennen, dass ich sie mit meinen Mitteln verständlich halten will. Sie sollen nicht im Abstrakten vernebelt werden. Die bildende Kunst, als Sprache für sich, bedarf oftmals vieler Vorkenntnisse oder „Übersetzungshilfen“, was in der eigenen und zeitgemäßen Sprache meist nicht der Fall ist. Worte können oft tiefer dringen als das flüchtige Bild, das oft auch nur im Original seine volle Wirkung entfalten kann. Texte können so genau und scharf sein, dass sie trotz all dem stilistischen Spielraum weniger Raum für Interpretation, oder besser gesagt Fehlinterpretation, zulassen. Sie lassen ein inneres, dem Leser eigenes Bild entstehen, das sich festsetzt und immer wieder zitierbar ist. Ich habe oft das Gefühl, in Form von Gedichten auf eine noch tiefere Ebene vorstoßen zu können. Vielleicht liegt auch so viel Kraft in der Lyrik, weil ihre Worte nicht nur gesehen sondern auch gehört werden können. Sie spricht gleich mehrere Sinne an. Es bleiben also Spuren auf verschiedenen Ebenen zurück, die wie ein Echo nachhallen und ein dauerhaftes Gefühl für den Inhalt und jedes einzelne Wort hinterlassen.

Planst Du irgendwann wieder nach München zurück zu kehren?

München ist, trotz seiner Ecken und Kanten, immer in meinem Herzen, und viele Menschen, die ich liebe und vermisse, leben dort.

Somit wird das nie auszuschließen sein. Allerdings wird das wohl noch ein wenig dauern, da ich einfach im Moment zu gerne neue Städte für mich entdecke. Und leider, selbst wenn ich zeitnah zurückkehren wollen würde, mir der Münchner Immobilienmarkt, wie ich vorher ja schon hab anklingen lassen, diese Möglichkeit eher verwehrt. Die Stadt ist, um neu zu mieten und zu leben, für jemanden mit geringen finanziellen Mitteln, der einen Arbeits- und einen Wohnraum braucht, einfach zu teuer geworden. Kreativität braucht Zeit. Wenn die Zeit hauptsächlich dafür draufgeht, Geld für ein Dach über dem Kopf zu erwirtschaften, bleibt für die Kreativität kaum mehr welche. Wenn dieser Trend so weitergeht, schafft sich die Stadt, so wie wir sie aus unserer Vergangenheit kennen und lieben gelernt haben, immer mehr ab. So viele der Menschen, die über Jahre in München gelebt und das Stadtbild in kreativen oder sozialen Belangen mit geprägt haben, sind schon abgewandert und werden dies auch in Zukunft weiter tun, da es bei der Preislage und dem stetigen Drang der Stadt nach dem „Immer Größer“ und „Immer Exklusiver“ fast unmöglich geworden ist, ohne Hilfestellung, künstlerisch tätig zu sein. Ich habe absolut nichts gegen eine positive Stadtentwicklung und Umbrüche im städtischen Leben, die einen Mehrwert für das Gros der Bevölkerung haben. Aber wenn diese so ablaufen wie in der jüngeren Vergangenheit läuft etwas gravierend schief. Die Stadt wird immer mehr zur Spielwiese der Gruppe der Besserverdiener. Und zwar auf Kosten derer, die bei diesen Voraussetzungen nicht mithalten können. Ich weiß nicht, ob München noch die Stadt ist, in der ich mich irgendwann wieder uneingeschränkt wohlfühlen kann. Ich hoffe aber immer noch, dass sich Stadt und Leute irgendwann wieder von „Laptop und Lederhosen“ frei machen und auf andere, ehrlichere Werte zurückbesinnen. Vielleicht geben München und ich uns dann auch nochmal eine Chance. Es wäre schön.

Lieber Michael, vielen Dank für das schöne Gespräch!

 

Kunstwerke von Michael bei Pablo & Paul gibt es hier:

http://www.pabloundpaul.com/de/kuenstler/michael-mcwilliams-foldenauer/

 

Und zum Schluss noch ein Einblick in seine Dichtkunst:

Sentio, ergo sum!
 
manchmal fühl ich mich auf einer scholle treibend
drüber
der himmel in nächtlichem dunkel
drunter
das tiefschwarz schluchzende meer
 
manchmal fühl ich mich auf eine wolke gebettet
drüber
der mutter leuchtend warme strahlen
drunter
die landschaft still ruhend und von menschen leer
 
manchmal fühl ich mich an einer klippe stehend
drüber
schwarze, das blau verdunkelnde schatten
drunter
die schreiend von stein zerschnittene brandung, so reißend und schwer
 
manchmal fühl ich mich durch schwingen beflügelt
drüber
das tanzende licht und ein endloser kosmos
drunter
das leben in all seinen farben, so gerade, so frei, so kreuz und so quer
 
und manchmal fühl ich
kein drüber, kein drunter
manchmal fühl ich mich
einfach nur leer

 

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