Ein gesichtsloser, weiblicher Oberkörper. Ihre Pose: die eines dominierenden Mannes mit verschränkten Armen vor der Brust. Ihre Haut wurde digital so bearbeitet wie die der weiblichen Schönheitsideale in Zeitschriften. In dicken, pinken Buchstaben prangt das Wort Idol auf ihrer Brust, ein Verweis auf den Titel der Ausstellung, die noch bis zum 5. September in der Rathausgalerie Kunsthalle München zu sehen ist. Die fotografische Arbeit von Birthe Blauth ist eines der ersten Werke, die der Besucher zu Gesicht bekommt.
Konfrontation prähistorischer Idol-Figuren mit zeitgenössischer Kunst
Die Ausstellung IDOL+ bringt prähistorische Idolfiguren in einen Dialog mit Positionen zeitgenössischer Kunst. Diese prähistorischen Gestalten, acht bis zehn originale Tonfiguren, spiegeln zwar die frühzeitliche Verehrung der Weiblichkeit, und vor allem der Mütterlichkeit wider, geben aber ihre eigentlichen Identitäten nicht preis. Die stärkste theoretische Verbindung zu den archaischen Idolfiguren hat wohl Nina Annabelle Märkls Raumarbeit. Mittelpunkt dieser Arbeit bildet eine Figur, die zwischen gegenständlichen, abstrakten, organischen und technischen Elemente zu tanzen scheint und durch die installierten Spiegelfächen zigmal vervielfältigt wird. Der Erscheinung wird die menschliche Existenz genommen, und gewinnt dadurch die Qualität von schützenden Idolen als Wegbegleiter.
Hinterfragung und Auseinandersetzung mit Frauenklischees
Im Kontrast zu den historischen Idolen stehen knapp 20 Positionen zeitgenössischer Kunst. 13 Künstlerinnen aus Deutschland und Österreich nehmen kritisch Position zu den heutigen Klischees und gesellschaftlichen Ansichten zur weiblichen Individualität und erforschen alternative Perspektiven zum Thema Frau-Sein. Beispielsweise zeigt Miriam Elias Videoinstallation On the Cusp eine dickleibige, Kekse essende Schmetterlingsraupe, die von ihrer Mutter, der Inkarnation von Schmetterlingsschönheit, zum Pubertieren angetrieben wird. Medien und soziales Umfeld haben heutzutage ein so fixiertes Bild und exakte Idealvorstellungen an das Aussehen, das Verhalten und die Persönlichkeitsentwicklung einer Frau, dass die Klischees erdrückend werden. Die Videoanimation Die Seelen in meiner Brust von Ina Loitzl thematisiert Modelle und Möglichkeiten eines Frauenbildes und verweist somit auf die Vielschichtigkeit zeitgenössischer Rollenzuweisungen. So präsentiert sich die Künstlerin als unbeholfenes Kind, als liebevolle Mutter, als erotische Liebhaberin, als beistehende Freundin, die mitunter auch noch mit beiden Beinen im Berufsleben steht. Durch die Anhäufung dieser unterschiedlichen Identitätskonstruktionen wird die Absurdität des Anspruchs nur hervorgehoben und klassische weibliche Rollenbilder hinterfragt. Das Prinzip der Anhäufung als Mittel zur Hinterfragung macht sich auch Augusta Laar in ihrer Installation Große Puppenklinik zunutze. Durch die Fragmentierungen der einzelnen, zu einem Konvolut angehäuften Puppen- und Körperteile werden emotionale Klischees und geschlechtsspezifische Zuschreibungen subtil attackiert und Freiräume für neue Ansichten geöffnet.
Kritische Position zur zeitgenössischen Gesellschaft
Diese Ansichten sind zeitweilig nicht immer positiv. Jessica Kallage-Götzes Arbeit Johanna nimmt Bezug auf Jeanne d’Arc, auch Johanna von Orléans, genannt. Gekleidet im zeitgenössischen Outfit, mit tiefsitzender Jeans und eng anliegendem Top, wirkt die Wachsfigur nur gar nicht wie die einstige Nationalheldin Frankreichs. Jessica verweist somit auf die inflationäre Verwendung der Titulierung Jeanne d’Arc, besonders für erfolgreiche, prominente Frauen und attackiert den heutigen Verfall moralischer und ethischer Motivationen für Lebenserhalt und Taten.
Aufforderung zur weiblichen Selbstbestimmung
Im Gegensatz dazu appellieren die Positionen anderer Künstlerinnen den Besucher direkt. Sie fordern das selbstbewusste Auftreten der Frau und ergründen die wichtigen Schritte in Richtung Selbstbestimmung. In Sabine Groschups Sweet Ladies werden Idealvorstellungen eines Frauenbildes der 1950er und -60er Jahre mit vermeintlichen, in Gewänder gehüllten Körpern konfrontiert. Das Abweisen einer Annährung an Idole betont den Aufruf nach weiblicher Emanzipation und selbstbewusster Ich-Erkundung.
Das Besondere der Ausstellung IDOL+ ist die Vielfalt an Medien und Perspektiven. Arbeiten aus den Bereichen Zeichnung, Collage, Fotografie, Skulptur, Videoarbeit und Installation hinterfragen moderne Stereotypen und unterbreiten Gegenentwürfe weiblicher Identität.
Beteiligte Künstlerinnen: Dörthe Bäumer, Birthe Blauth, Miriam Elia, Sabine Groschup, Stephanie Guse, Jessica Kallage-Götze, Augusta Laar, Ina Loitzl, Nina Annabelle Märkl, Rose Stach, Susanne Thiemann, Martina Tscherni, Die 4 Grazien
Autorin: Anna Oerter
1 Comment
Kalllage-Götze
Vielen Dank für den schönen Artikel zur Ausstellung!