Mediale Grenzüberschreitungen von P. Diddy zu Avril Lavigne

„I’m not really into computers – I do not trust them“, erklärte Cory Arcangel im Künstlergespräch mit Hans Ulrich Obrist, das im Rahmen des Münchner Filmfestivals KINO DER KUNST stattfand. Eine solche Aussage ist überraschend, bedenkt man die medienaffinen Kunstpraktiken des amerikanischen Künstlers. Die zeitgebundene Bildsprache aktueller Technologien überträgt er mittels Rekonfigurationen in eine überdauernde Ästhetik.

Betritt man die anlässlich des Kino der Kunst realisierte Einzelausstellung im Espace Louis Vuitton, erhält Cory Arcangels ambivalentes Verhältnis zu virtuellen Parallelwelten eine Fundierung. Der Besucher wird von einem synästhetischen Gesamteindruck empfangen und mittels der Stimulation verschiedener Sinnesreize durch die Ausstellung geführt.
Popmusik von Interpreten der 90er-Jahre wie Ace of Base oder Avril Lavigne schallt aus einer Ecke, ein roter Fußbodenteppich mit konzentrischen Farbkreisen vereinnahmt die Raumwirkung. Technische Apparaturen als Vermittler akustischer sowie visueller Notationssysteme okkupieren Boden und Wände und breiten sich durch die Kabelführung netzartig aus. Durch die explizite Offenlegung der elektrischen Leitungen werden die Grenzen zwischen Ausstellung und Kunstwerk verunklärt und die technische Umsetzung zum werkimmanenten Bestandteil der künstlerischen Arbeit: Das Mittel zum Zweck wird zur Kunst geadelt, die Kunst wird zum Zweck gemittelt.

Installation view: Be the first of your friends, Espace Louis Vuitton München, Munich, Germany, April 24 – August 8, 2015 Courtesy of the artist and Espace Louis Vuitton München Photo: Christian Kain
Installation view: Be the first of your friends,
Espace Louis Vuitton München, 
Photo: Christian Kain

Kunst zum Nachmachen

Die barocke Idee des grenzüberschreitenden Gesamtkunstwerkes findet ihre Fortsetzung in der medialen Transferierung der Arbeiten. In einem handelsüblichen Broschüreständer präsentiert Cory Arcangel The Source als Druckwerke, die die manipulierenden Eingriffe des Künstlers in Computersysteme dokumentieren. Präzise Computerbefehle im Open-Source-Format ermöglichen deren Nachahmung innerhalb Arcangels demokratischen Kunstverständnisses. Waren die Quelltexte bisher über die Homepage des Künstlers als Download zugänglich, nimmt die Booklet-Version die traditionelle Ästhetik der Informationsvermittlung wieder auf. Dadurch entsteht ein ambivalentes Spannungsgefüge aus Konvention und deren Neuinterpretation – eine künstlerische Strategie, wie sie auch in Two Clintons, Four Palms, a Taurus and an Aeron ersichtlich wird. Die im Paint-Programm entstandene Zeichnung wird mittels des mechanischen Armes einer Druckermaschine auf Papier übersetzt: Dem Menschen wird eine Maschine entgegengesetzt, dem Ductus der Druck.
In der Serie Lakes präsentiert Cory Arcangel Auszüge aus seinem digitalen Archiv, in das medial verbreitete Bilder als Ikonen unseres Zeitgeistes eingehen. Durch die Archivierung werden die visuellen Eindrücke der Schnelllebigkeit des technologisierten Bilderflusses enthoben und somit der Zeitlichkeit entbunden. Auf vertikal installierten Flatscreens reinszeniert der Künstler die klassische Bildgattung des Porträts. Der amerikanische Rap-Star P. Diddy alias Sean John Combs flimmert mit schwarzem Maßanzug und Sonnenbrille im herrschaftlichen Kontrapost über den Bildschirm. Paris Hilton wird als Medienmagnet im Rahmen ihres Social-Media-Auftritts auf Instagram präsentiert – das It-Girl zeigt sich in schneebedeckter Landschaft beim Skifahren. Modifiziert wird die Bildwirkung durch ein Java-Programm, das die untere Bildhälfte als kräuselnde Wasseroberfläche darstellt. Emblematisch für die überholte Optik von Internetseiten verweist dieser Effekt auf die Vergänglichkeit technisch generierter Trends.

Installation view: Be the first of your friends, Espace Louis Vuitton München, Munich, Germany, April 24 – August 8, 2015 Courtesy of the artist and Espace Louis Vuitton München Photo: Christian Kain
Installation view: Be the first of your friends,
Espace Louis Vuitton München, 
Photo: Christian Kain

Ein zeitgenössisches Gesamtkunstwerk

Kompensiert Cory Arcangel das anfangs erwähnte Misstrauen gegen den Computer durch die Konservierung von Sinneseindrücken? Versucht er seiner Skepsis gegenüber der Kurzlebigkeit von medial vermittelten Eindrücken durch Archivierung Herr zu werden? Gegen eine gesellschaftspolitische Kategorisierung seines Werkes als medienkritische Position verwehrt sich der Künstler. „I’m just screwing around“, bekennt er hinsichtlich konzeptioneller Ansätze in seinem Werk und unterstreicht seinen spielerischen Zugang. Um der Omnipräsenz von Medien und Technik in unserem Alltag zu begegnen, aktiviert Cory Arcangel das Konzept des Gesamtkunstwerkes. Er löst Grenzen zwischen Technologie und Kunst in seinem Archiv des Zeitgeistes auf.

Prämiert wird das Werk Cory Arcangels als Reflexion unserer zeitgenössischen Popkultur vom Kino der Kunst, das zwischen Filmfestival und Ausstellung oszillierend Filme bildender Künstler präsentiert. Mit dem Preis für das filmische Gesamtwerk würdigen die Veranstalter Arcangels Beitrag zur Intensivierung des Austausches zwischen visueller Kunst und kinematographischen Darstellungsformen.

Der Espace Louis Vuitton zeigt als Austragungsort des KINO DER KUNST das künstlerische Schaffen von Cory Arcangel in der Einzelausstellung Be the first of your friends. 2014 eröffnet reiht sich der Münchner Espace in die Serie unabhängiger Kunsträume in Paris, Tokio und Venedig ein, die jungen und etablierten Künstlern eine Produktions- sowie Präsentationsplattform bieten. Mit Cory Arcangels monografischer Werkschau aus neuen und reinszenierten Arbeiten wird die programmatische Zielsetzung des Espace fortgeführt.

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