Am vergangenen Donnerstagabend eröffnete im Münchner Museum Brandhorst die Ausstellung Richard Avedon. Wandbilder und Portraits. Richard Avedon (1923–2004) gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Modefotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Doch im Zentrum der aktuellen Ausstellung stehen nicht seine kommerziellen Arbeiten über Mode, Stil und Schönheit, sondern der Facettenreichtum seiner eindringlichen Portraitfotografie. Als „seine Vorstellung vom Himmel“ beschrieb Avedon die Tätigkeit als Fotograf einst. Doch zum Beruf kam er eher, wie die Jungfrau zum Kinde.

Richard Avedons Karriere begann beim US-Militär. Von 1942–1943 absolvierte der damals 19-Jährige seinen Dienst in der US Handelsmarine und war dort für die fotografische Dokumentation des zweiten Weltkrieges verantwortlich. In einem Interview gesteht er:

“My job was to do identity photographs. I must have taken pictures of one hundred thousand faces before it occurred to me I was becoming a photographer“.

Erst einige Jahre später erlang Avedon durch seinen Erfolg in der amerikanischen Modebranche auch internationale Bekanntheit. Er war Hausfotograf bei Vogue und Harpers Bazaar, fotografierte Werbekampagnen für Versace und arbeitete für renommierte Medien wie The New Yorker oder das französische Magazin Egoïste.
Doch nicht seine hervorgehobene Rolle in der Modebranche steht im Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung. Der Kurator Armin Zweite schaute für das Museum Brandhorst vor allem hinter die Kulissen. Zusammen mit der Gagosian Gallery und der Richard Avedon Foundation, New York, portraitiert er Avedons vielschichtiges Oeuvre. Vor allem Avedons Gespür für sozialgeschichtliche Inhalte rückt Zweite in den Vordergrund.

Richard Avedon. Wandbilder und Portraits  bietet einen breit gefächerten Einblick in das Amerika des 20. Jahrhunderts. Aufnahmen weltberühmter Persönlichkeiten aus Politik und Kultur werden kontextualisiert mit eindringlichen Portraits bis dato anonymer Personen: Landstreicher, Fabrikarbeiter, Psychiatrieinsassen und Mörder. Und gegenüber? Portraits von Truman Capote, Marilyn Monroe und Andy Warhol’s Factory.

Doch trotz räumlicher Gegenüberstellung scheint die kulturelle und politische Elite den gesellschaftlichen Randgruppen nicht überlegen. Diese Wirkung, die Armin Zweite mit der Kontextualisierung und Konfrontation verschiedener Werkreihen erzeugt, offenbart gleichzeitig die Eigenart und Stärke des amerikanischen Fotografen:

Berühmtheiten fotografiert Avedon mit einer Sensibilität für das Verdeckte und Unsichtbare, dem Schicksal der gesellschaftlichen Außenseiter hingegen verleihen seine Aufnahmen das nötige Maß an Würde.

Avedon offenbart die Narben Andy Warhols und die Fragilität Marilyn Monroes auf ähnliche Art und Weise wie die Sklavenvergangenheit, die Krankheiten oder Kriegswunden unbekannter Amerikaner.

Die Ausstellung präsentiert einen der bedeutendsten Modefotografen und klammert dabei den eigentlichen Hype um ihn völlig aus. Mit diesem kompositorischen Trick gelingt Armin Zweite ein kleines Meisterwerk. Seine Werkauswahl macht deutlich: Avedon portraitiert nicht nur Models, Stars und Intellektuelle, er erfasst auch die Menschen hinter dem Scheinwerferlicht. Ob Promi oder Landstreicher, Avedons Linse verleiht jedem Menschen besonderen Ausdruck und Integrität. Dennoch haben seine Fotografien keinen Wahrheitsanspruch. Der Fotograf erklärt:

„Ein Portrait zielt nicht auf Ähnlichkeit. Der Augenblick, in dem ein Gefühl oder ein Gegenstand in ein Foto verwandelt wird hält nicht eine Tatsache fest, sondern eine Meinung. So etwas wie Genauigkeit gibt es nicht in der Fotografie. Alle Fotos sind genau. Keines von ihnen ist wahr.“

Unabhängig vom Sujet übertreffen die Aufnahmen von Richard Avedon die bloße Ästhetik herkömmlicher Schwarzweiß-Fotografie. In ihnen verschmilzt der ästhetische Sinn des Modefotografen mit dem tieferen Blick des Kriegsberichterstatters. Genau darin besteht die Relevanz von Avedons Gesamtwerk und die Stärke der aktuellen Ausstellung. Sie schlägt eine Brücke zwischen anmutenden schwarz-weiß Aufnahmen und sozialpolitischer Dokumentarfotografie.

In den unterirdischen Räumlichkeiten des Museum Brandhorst ist die Schau noch bis zum 09. November zu sehen. Für Kunstinteressierte und Ästheten sehr eindrucksvoll, für Flaneure am Sonntagnachmittag aber nicht minder sehenswert.


Kleiner Tipp: Alle, die nicht ganz publikumsscheu sind, sparen sonntags am Eintritt: Die Ausstellung kostet dann nur 1€ pro Besucher.

Hier geht’s zur Homepage www.brandhorst-museum.de

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