Der Fotograf Michael von Hassel entwickelt „intuitiv aus dem Bauch heraus“ unterschiedlichste Serien sogenannter hyperrealistischer Fotografie. Mit seinen Bildern will er die menschliche Wahrnehmung erweitern und dazu anregen, die eigene Realität zu hinterfragen. 2009 wurde er auf der Hot Art Fair Basel zum besten zeitgenössischen Künstler ausgezeichnet. Gerade hat er seinen ersten eigenen Bildband – Compendium – (erschienen bei teNeues) herausgebracht. Im Interview mit Pablo & Paul verrät von Hassel, warum das Buch für ihn goldwert ist und wie man ein glücklicher Mensch wird.

Lieber Michael, wie hat es sich angefühlt, das erste Mal Dein eigenes Buch in den Händen zu halten?

Das war ein Geschenk – wie ein kleines Baby, das geboren wurde. Ein unbeschreibliches Gefühl. Der Bildband ist zunächst einmal eine Rückschau und dann auch ein Abschluss von mehreren Kapiteln. In Buchform kann ich diese Kapitel jetzt in den Schrank stellen. Deswegen ist Compendium ein unglaublicher Schatz und für mich persönlich sehr wichtig gewesen. Und was es alles bewirkt, das hätte ich mir in den kühnsten Träumen nicht ausmalen können.

Derzeit bist Du mit Compendium auf Buchtour durch Deutschland und auf der Buchmesse in Frankfurt vertreten. Was bedeutet Dir der Bildband und inwiefern glaubst Du, dass er für Dein Dasein als Künstler einen Unterschied macht?

Er macht einen Riesenunterschied! Das hätte ich nie gedacht und deswegen war ich auch lange Zeit der Meinung, das brauche ich nicht. Aber es ist phänomenal wichtig,in einem guten, weltbekannten Verlag ein ganz tolles Buch zu machen. Das ist absolut goldwert. Denn letztlich wird man nur dann wahrgenommen und erfolgreich als Künstler, wenn man sich in anderen Menschen, Institutionen oder eben Büchern spiegelt.

Erst wenn man von anderen wahrgenommen, aufgenommen und gesehen wird, wenn über einen geredet wird, über die eigene Arbeit diskutiert – im Positiven oder Negativen – erst dann wird die eigene Arbeit real.

Und das geht mit einem Buch viel besser, weil man seine Bilder nicht überall zeigen oder dabei haben kann. Und es macht einen Riesenunterschied, ob man seine Werke auf dem Handydisplay oder einer Website zeigt oder in einem phänomenalen, gelungenen, großen und sehr wertvollen Buch.

Und wie bist Du Fotograf geworden? Also wann hast Du angefangen zu fotografieren?

Fotografiert habe ich schon immer. Mein Vater, Großvater, Urgroßvater – alle Jungs in der Familie haben fotografiert und waren ganz vernarrt in Fotos. Schon als ich vier oder fünf war, hat mir meine Großmutter einen ersten Apparat geschenkt – eine Ritsch-Ratsch-Kamera. Und auch aus Lego habe ich mir immer Fotokameras gebaut und keine Pistolen oder so etwas, wie meine ganzen Freunde.

Über die Jahre habe ich dann immer fotografiert und durch zwei, drei oder vielleicht eher zehn Zufälle bin ich in einer der wichtigsten deutschen Fotokunstgalerien gelandet, bei Camera Work in Berlin.

Als ich dort eine Einzelausstellung hatte und die gesamte Ausstellung von einem Sammler gekauft wurde, hatte ich auf einen Schlag ein Jahresgehalt verdient und dachte mir, ich kann erst einmal weitermachen. Und seit diesem Moment bin ich Fotokünstler.

Was ist für Dich das reizvolle am Beruf des Künstlers? Und warum ist er das richtige für Dich?

Ich glaube, dass jeder Mensch das machen sollte, wo sein Talent liegt. Man muss natürlich erst herausfinden: Was fordert einen am meisten heraus? Was schafft einem die größte Befriedigung? Wo hat man am meisten Flow?

Die Psychologen betrachten „Flow“ als einen Zustand, in dem man früh aufsteht, an sein Tagwerk geht und nach gefühlten fünf Minuten ist Abend und man hat nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Und dieses Gefühl erlebt man bei der Beschäftigung, in der man sein stärkstes Talent hat.

Was das bei mir ist, habe ich in einer Vorlesung herausgefunden, die sich „positive Psychologie“ nennt. Die positive Psychologie beschäftigt sich mit der Frage, worum es im Leben eigentlich geht: „Wie wird man ein glücklicher Mensch?“. Und da wurde mir klar, obwohl ich das schon längst hätte wissen können:

Ich bin am glücklichsten, wenn ich Fotos machen kann und die dann auch zeigen kann.

Und das mache ich jetzt. Ich stehe jeden Tag auf und denke „geil“ und am Abend merke ich, dass die Zeit verflogen ist und es mich erfüllt. Ich kann auch nicht unterscheiden, wann ich arbeite oder Freizeit habe – ich lebe einfach. Und das mache ich dauernd und sehr gerne.

Warum Fotografie und nicht eine andere Kunstform, wie Malerei oder Zeichnung? Oder könntest Du Dir auch vorstellen, in anderen Kunstformen zu arbeiten?

Da habe ich noch nie drüber nachgedacht… Das mit der Fotografie hat sich natürlich so ergeben aufgrund von vielen Zufällen. Und ich glaube für die Malerei wäre ich vielleicht zu ungeduldig. Ich will immer nicht aufgehalten werden von irgendwas oder irgendjemandem, dann fühle ich mich blockiert. Und vielleicht müsste ich mich in der Malerei zu lange an einem Motiv abarbeiten. Aber das ist eigentlich nicht ganz stimmig, weil ich auch mit meinen Motiven sehr lange arbeite. Ich sitze schonmal tagelang im Wald und warte auf das richtige Licht.

Im Atelier von Markus Lüpertz zum Beispiel – mit ihm bin ich sehr sehr gut befreundet, er ist einer meiner engsten väterlichen Künstlerfreunde – ist immer ein unfassbares Chaos, alles voller Farben. Und dieser, wie er selbst sagt, „Kampf“, den er mit seinen Bildern hat oder mit seinen Skulpturen, den habe ich nicht. Ich finde es toll was er macht, aber es ist einfach nicht meins.

Mir gefällt das Medium Fotografie wahnsinnig gut.

Und wie würdest Du Deine Fotografie beschreiben?

Wenn ich sie beschreiben könnte, wäre ich Kunsthistoriker geworden (lacht). Ich hatte neulich fünf oder sechs Kunsthistoriker bei mir zuhause im Labor und es war unfassbar faszinierend, was denen zu meinen Bildern eingefallen ist. Das war heftig, im besten aller Sinne. Und ich glaube Andere können das immer besser.

Ich persönlich will in meinen Fotos einfach mehr zeigen. Ich denke, es gibt viel mehr Realität, die wir gar nicht wahrnehmen können, die nicht sichtbar ist, die aber vielleicht fotografierbar ist. Deshalb möchte ich den Menschen gerne mehr zeigen von ihrer Welt. Wenn sie zum Beispiel in dem Wald wären, den ich fotografiert habe und genau meine Perspektive einnehmen würden, würden sie das Motiv nicht so intensiv sehen, wie auf meinem Foto.

Deswegen ist meine Fotografie eine Anregung, die Realität besser anzuschauen. Sie versucht, intensiver aufzunehmen, mit dem Herzen zu fotografieren. Weil man Dinge im Alltagsstress übersieht.

Wie hast Du Deinen Stil gefunden?

Früher habe ich ausschließlich schwarz-weiß fotografiert. Ich komme ja aus der analogen Fotografie und habe lange mit so herrlichen alten Mittelformatkameras aus den 60er Jahren gearbeitet. Mit diesen Aufnahmen habe ich auch meine ersten Ausstellungen gemacht. Und dann kam irgendwann ein herrlicher Fotokunst-Kollege, Olaf Otto Becker, der damals durch Grönland kletterte und vor allem schmelzende Gletscher fotografierte. Seine Fotos sahen sich relativ ähnlich: Ein grauer Himmel, sehr unifarben also ohne Struktur, in der Mitte ein hellgrauer Gletscher und vorne dunkelgraues Wasser. Seine Bilder waren relativ monochrom, es waren aber Farbfotos. Und er kam also damals in meine Ausstellung und meinte: „Das ist schon alles toll, was du machst und du hast den Erfolg, den du hast, auch verdient. Aber du machst es dir schon sehr einfach, wenn du die Farbe weglässt.“

Da war ich erst mal ein bisschen sauer, weil ich dachte, wie kann er das sagen, sonderlich farbig sind seine Bilder auch nicht (lacht). Aber er hatte natürlich recht. Es ist viel einfacher ein schwarz-weiß Foto zu machen und das als Fotokunst zu präsentieren als ein Farbfoto. Gerade heutzutage, wo jeder eine tolle Kamera kaufen und ein perfektes Foto machen kann, also ein technisch perfektes.
Nach diesem Erlebnis habe ich mir lange überlegt, wie ich an die Farbfotografie rangehe. Ich habe ein Jahr lang ausprobiert und das ist dabei herausgekommen.

Was ist Dein aktuelles Projekt, oder eines das noch aussteht? Und woran arbeitest Du gerade?

Als Künstler hat man immer wahnsinnig viele Baustellen parallel und kann nicht eins nach dem anderen machen. Ich bereite derzeit eine Ausstellung für eine große Kunsthalle in München vor, habe Ausstellungen im Ausland und fotografiere weiter an meinen Serien. Dann kümmere ich mich um die ganzen Verkäufe und mache diverse Expeditionen, zum Beispiel zu der nördlichsten befahrenen Straße der Welt in Russland. Insgesamt habe ich sicherlich fünfzig Baustellen mit Sammlern, Galerien, Kuratoren und so weiter. Und dieser Bereich ist mit dem Buch natürlich noch wesentlich größer geworden.

Planst Du neue Serien lange im Vorfeld oder entstehen sie eher durch spontane Eingebungen oder Beobachtungen?

Ich arbeite sehr intuitiv. Mittlerweile habe ich immer eine Kamera dabei und so sind zufällig aus dem Bauch heraus viele unterschiedliche Serien entstanden.

Nur meine neueste Serie – sie beschäftigt sich mit dem Thema Tugenden – habe ich im Studio aufgenommen. Hierfür habe ich aufwendige Sets mit Neonröhren gebaut und das lief dann ganz anders als sonst. Ich möchte immer mal wieder etwas anders machen und Neues ausprobieren und dafür bietet das Medium Fotografie unglaublich viele Möglichkeiten.

Gibt es eine Serie oder ein Werk, mit dem Du Dich selbst am meisten identifizierst?

Alle (lacht). Ich gebe schon nur die wenigen Fotos raus, mit denen ich mich komplett identifiziere. Aber meine Präferenzen verändern sich natürlich mit der Zeit. Mal mag ich eines mehr oder weniger oder ich beschäftige mich lange Zeit mit einem bestimmten Motiv, und dann muss irgendwann ein neues her.

Und dann freue ich mich auch immer, wenn meine Motive ihre Plätze finden und ich weiß, wo die Werke hängen.

Wenn Du einem unbekannten Sammler nur drei Werke von Dir zeigen dürftest, welche wären das?

Also erst einmal muss der Sammler auf mich aufmerksam werden. Wenn ich jemanden zufällig treffe, würde ich ihm auf keinen Fall meine Bilder aufdrängen oder meine Arbeit, das muss sich von selbst ergeben. Wenn der andere interessiert ist oder meine Arbeit empfohlen bekommt von Freunden oder Galeristen, lade ich ihn gerne in mein Labor ein oder nach Berlin. Und wenn jemand wirklich etwas sehen will, dann zeige ich es ihm auch gerne. Aber nur drei Fotos zeigen, das würde ich nicht machen.

Du hast viele Sammler, Ausstellungen und nun auch einen eigenen Bildband. Gibt es irgendeinen Wunsch, der in Bezug auf Deine Fotografie noch offen geblieben ist?

Ja, viele.

Zunächst einmal ist es immer schwierig, sich selbst von außen zu betrachten und zu beurteilen, ob man beispielsweise Karriere gemacht hat oder erfolgreich ist oder berühmt.

Ich fühle mich nicht sonderlich anders als vor zehn Jahren, außer dass ich feststelle, dass meine Preise gestiegen sind.

Und ich habe eine lange Notizliste, die ich in meinem Handy mitführe: von Orten und Themen, die ich fotografisch beleuchten möchte. Und die wird immer länger nicht kürzer (lacht).

Allgemein plane ich nicht, wo ich in fünf Jahren sein will oder in zehn Jahren. Ich finde es toll, wenn andere das tun aber für mich persönlich finde ich das zu naiv. Weil ich – auch was den wirtschaftlichen Erfolg angeht – von außen getrieben bin. Weil Verkäufe, Aufträge oder Angebote, irgendwo auszustellen, alles Dinge sind, die von anderen kommen. Das kann ich nicht planen. Aber so ein paar kleinere Sachen gibt es schon. Ich möchte zum Beispiel eine bestimmte Wand in einer weltberühmten Bar mit ganz vielen Menschen darauf fotografieren. Und vieles mehr. Man gewinnt ja auch immer neue Partner dazu, die einen in vielen verschiedenen Bereichen unterstützen.

Und auf einmal werden Dinge möglich, von denen man nie dachte, dass es sie überhaupt gibt.

 

 

 

Lieber Michael, vielen Dank für das schöne Gespräch und weiterhin nur das Beste!

 

Hier geht es zum Buchtitel Compendium bei teNeues http://www.teneues.com/shop-de/buecher/neue-produkte/compendium2.html

 

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