Während draußen der erste Schnee fällt sprechen wir mit Franziska Seitz über ihre Serie Blüten-Mythen, die Definition von Kunst und die Welt auf dem Sockel.

Was ist Kunst für Dich?
Das ist fies. Du fängst ja gleich mit der schwierigsten Frage an. Die kann man nicht einfach beantworten; es gibt ja unzählige Definitionen.
Ich finde, man kann nicht sagen, das ist Kunst und das ist keine Kunst. Ich sehe das auch ein Stück weit wie Joseph Beuys, der sagt, dass jeder, der mit Liebe und einer gewissen Motivation etwas für die Gesellschaft tut oder gestaltet, sei es ein Bauarbeiter oder ein Lehrer, ein Künstler ist.
Für mich persönlich bedeutet Kunst, sich eine Frage zu stellen und diese gestalterisch zu beantworten oder zu lösen. Es geht also um eine Untersuchung, bei der jedes Ergebnis individuell und anders ist.

 

Du hast Kunstpädagogik an der Akademie in München studiert. Was fasziniert oder begeistert Dich an der Arbeit mit Kindern?
Kinder gehen einfach unverkrampfter an Themen ran. Mir macht der Vermittlungsaspekt in der Kunst großen Spaß. Wenn ich den Kindern eine Idee gebe, kommen ganz individuelle Ergebnisse. Man muss sich da überraschen lassen.
Ich sehe die Kunstpädagogik keineswegs als Beschäftigungstherapie. Für mich geht es dabei ganz viel um Bildung. Ich möchte bei den Kindern und Jugendlichen ein Bewusstsein für die Bilderwelt fördern und entwickeln. Sie sollen bewusstes Sehen lernen. Wenn wir durch die Straßen gehen, jeden Tag, haben wir ja oft so viele Sachen im Kopf, dass wir nicht mehr sehen, was eigentlich da ist. Die Kinder sehen tagtäglich so viele Bilder und haben oft kein kritisches Verständnis, sei es bei Bildern, die sie selbst gestalten, oder auch bei Bildern, die auf sie einprasseln. Ich möchte ihnen beibringen, ein Geschmacksurteil fällen zu dürfen und das dann auch wieder zu überdenken.

 

Franziska Seitz - Blüten-Mythen (Gänseblümchen)
Franziska Seitz – Blüten-Mythen (Gänseblümchen)

 

Bei Pablo & Paul verkaufen wir Deine Serie Blüten-Mythen. Zeichnungen von verschiedenen Pflanzen, die ein außergewöhnliches Wurzelwerk haben. Wie kamst Du zu den verschiedenen Kombinationen von Blüten und Organen?
Zu jeder einzelnen Blüte habe ich mir eine Geschichte überlegt, wie sie mit menschlichen Organen eine Symbiose eingehen – Pflanzenzombies also sozusagen. Aber natürlich bin ich auch nach gestalterischen Kriterien vorgegangen.
Die ursprüngliche Idee zu den Werken entstand bei einer Ausstellung, die wir während meines Studiums im Alten Botanischen Garten in München zeigten. Ruth Kolmeder zeigte dreidimensionale Keramik-Landschaften und ich entwickelte dazu die Zeichnungen der Blüten-Mythen, die wir dann in einem Gewächshaus präsentierten.
Ich entschied mich aber dazu, die einzelnen Geschichten der Blüten nicht mit den Zeichnungen zu zeigen. Die Bilder würden so als Illustrationen abgewertet werden. Ich lade die Betrachter ein, auf eine ganz eigene Entdeckungsreise zu gehen und ihre eigenen Geschichten zu finden.

 

Hast Du denn mit detaillierten Vorlagen gearbeitet?
Ja. Im Rahmen der Ausstellung im Alten Botanischen Garten hatten wir Zugang zur Bibliothek des zugehörigen Instituts. Der Prozess zu den einzelnen Zeichnungen war relativ aufwändig. Ich kombinierte unterschiedlichste Bilder aus meinem eigenen Fundus, aus der Bibliothek, Kopien und eigene Zeichnungen, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war. Dazu verwendete ich einen Tuschestift, der vor allem von Architekten benutzt wird und einen sehr ruhigen und genauen Strich voraussetzt. Deshalb arbeite ich meist mit einem Leuchttisch, der die Vorlage leicht erscheinen lässt und ich somit eine zügige, aber präzise Zeichnung machen kann. Im Anschluss habe ich die lineare Zeichnungen mit Aquarellfarben koloriert.

 

Hast du denn dieses detaillierte Zeichnen im Zuge deines Studiums erlernt?
Nicht direkt. Eher durch lange Übung. Während der Schulzeit habe ich schon viel gezeichnet, in dem Alter natürlich immer mit dem Ziel, möglichst fotorealistisch zu zeichnen. Die Bilder waren damals ziemlich kitschig und schrecklich und der Inhalt nicht besonders aussagekräftig. Trotzdem schulte das meinen Strich.

 

Wie läuft denn der Prozess von der Originalzeichnung zur limitierten Druckedition ab?
Die Idee zur Edition entstand auch für die Ausstellung. Die Zeichnungen wurden ja im Außenraum gezeigt – dafür wären die Originale auf Aquarellpapier viel zu empfindlich. Daher entschied ich mich dafür, die Zeichnungen zu scannen und auf speziellem Papier zu plotten. Das Ergebnis war so gut, dass ich mich dazu entschied, eine Künstleredition daraus zu machen.

 

Franziska Seitz - Blüten-Mythen (Chinesische Rose)
Franziska Seitz – Blüten-Mythen (Chinesische Rose)

 

Nun noch zu einem ganz anderen Thema – du arbeitest ja derzeit an einem sehr außergewöhnlichen Projekt und möchtest die Erde auf einen Sockel stellen. Wie kam es zu dieser Idee?
Ursprung dieser Idee war eine Lehrprobe. Ich wollte mit meinen Schülern eine Stunde über den Sockel in der Kunst machen. Das Thema Sockel bzw. die Präsentation von Arbeiten wird im Kunstunterricht meist nur beiläufig behandelt – obwohl man ein Kunstwerk durch die falsche Präsentation total ruinieren kann.
Im Zuge meiner Recherchen bin ich dann auf Piero Manzonis Arbeit Socle du Monde gestoßen. 1961 drehte der Künstler schlicht einen Sockel auf den Kopf und behauptete, die Erde auf den Sockel gestellt zu haben. Als ich von dieser Arbeit las, löste das in mir eine gedankliche Kettenreaktion aus: Was würde passieren, wenn man die Welt wirklich auf einen Sockel stellt? Wie groß müsste der Sockel sein? Welches Material eignet sich am besten? An welchem Ort würde der Sockel aufgebaut werden und welche Völker müssten weichen? – So kam ich schnell vom Hundertsten ins Tausendste und der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Nun ist die Idee, einfach viele Leute aus unterschiedlichen beruflichen Disziplinen mit dieser Frage loszuschicken und die Ergebnisse in Schrift, Ton und Bild zu sammeln, in einer Art Archiv der Absurdität. In der Kunst kann man ja Dinge möglich machen, die anderswo nicht möglich sind und sie haben trotzdem einen großen Wahrheitsgehalt, oder eine ganz eigene Art von Wahrheit.
Was am Ende aus diesem Projekt wird, ob Ausstellung oder Archiv, ist noch völlig offen.

 

Zum Abschluss noch eine Frage, die unser Team derzeit sehr in Atem hält: Wer ist eigentlich Paul?
Wer ist eigentlich Pablo?

 

Danke Franziska für das tolle Gespräch!

 

Die Serie Blüten-Mythen findet ihr auch in Pablo & Pauls Online-Shop.

Copyright Portrait: Magdalena Jooß

 

 

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